Legal Tech: Da tut sich was!
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In 2018 hat sich viel im Bereich Legal Tech getan. Die USA sind weiterhin die Vorreiter. Da werden beispielsweise Analyse-Tools entwickelt, die mit Daten gefüttert werden, um daraufhin den Fortgang eines Falles vor Gericht zu prognostizieren. Hierbei werden z.B. die Sprache und Worte eines Richters analysiert, um dadurch herauszufinden, welche Argumentation ihn womöglich überzeugen könnte.
Oder man gibt den Namen des Richters ein und bekommt eine Statistik darüber, wie und mit welcher Argumentation er in bestimmten Fallkonstellationen geurteilt hat. Dies erlaubt es den Anwälten, Argumentation und Strategie darauf auszurichten. Sie haben damit noch nicht die berühmte Glaskugel in der Hand, doch sie überlassen es auch nicht mehr purem Glück oder Zufall, ob ihre Argumentation Gehör findet.
Suchmaschinen werden ausgereifter. In einem mehrjährigen Projekt der Universität Harvard wurde das gesamte Case Law der USA digitalisiert. Das sind – bei mehr als drei Jahrhunderten, die abgedeckt wurden – über 6 Millionen Fälle!
Die Szene wird internationaler. Die Rechtssysteme mögen sich unterscheiden, doch die Schnittmengen sind groß. Initiativen wie der Global Legal Hackathon tragen zur internationalen Vernetzung bei, dessen Gewinner mitnichten alle aus dem Silicon Valley, sondern u.a. aus Budapest und Hong Kong kamen. Es gibt weltweit natürlich auch zahllose lokale Veranstaltungen wie etwa die Berlin Legal Tech 2019. Und sonst? Die Künstliche Intelligenz wird mehr und mehr Thema, Legal Tech-Startups schießen wie Pilze aus dem Boden und die Zahl der Podcasts für Juristen steigt sprunghaft an.
In Deutschland teilt sich die Gemeinde
Und ganz konkret hier bei uns? In Deutschland teilt sich die Gemeinde. Man könnte fast von zwei Fronten sprechen. So stehen Teile der Anwaltschaft dem “Phänomen Legal Tech” nach wie vor skeptisch gegenüber. Statt Chancen zu nutzen und auf den Zug aufzuspringen, wird die Angst geschürt, dass ihnen die Felle davonschwimmen. Und ja, so wird es sein. Wer sich sträubt, sich mit der Digitalisierung und dem, was sie an Vor- und Nachteilen mit sich bringt, auseinanderzusetzen, wird buchstäblich abgehängt. Die Frage ist also nicht mehr ob, sondern wann.
So ein wenig erinnert es an das Phänomen “New Work”, das – beginnend mit den neuen Ansprüchen der Generation Y an das Arbeitsleben – auch mehr und mehr Raum und Gehör findet. Auch da gibt es noch viele Arbeitgeber (vermehrt Chefs der älteren Generation), die das, was damit einher geht (Infragestellen von Hierarchien, direktere Kommunikation, ortsunabhängiges Arbeiten etc.) ablehnen. Insbesondere jene, die ihre Autorität hauptsächlich über die klassische Hierarchie beziehen und somit hilflos wären, wenn sie sich neuen Organisationsformen öffnen sollten. Schon heute müssen sich Arbeitgeber anstrengen, um vernünftige Leute zu finden. Viele haben das noch nicht erkannt. Das könnte man jedenfalls meinen, wenn man sich z.B. die Stellenanzeigen anschaut, wo hohe Ansprüche formuliert werden, aber das Attraktivste, was geboten wird, eine “gute Verkehrsanbindung” und “betriebliche Altersvorsorge” sind. Jene aber, die “New Work” ernst nehmen und sich auch an den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter orientieren, werden kein Problem haben, Mitarbeiter zu finden. Und die anderen? Sie werden schlimmstenfalls sukzessive abgehängt, weil die Mitarbeiter nun in der Position sind, Ansprüche zu stellen. Sehen Sie die Parallelen? Wer sich der Digitalisierung gegenüber öffnet, ist in der Regel auch modern und frisch im Kopf, um sich für die “neuen Arbeitswelten” offen zu zeigen. Die Welt dreht sich schnell und schneller. Dem Gestern nachzuweinen ist ok, sollte aber nicht lähmen.
Jene Teile der Anwaltschaft, die Legal Tech in Deutschland begrüßen und implementiert haben, wünschen sich eine Überarbeitung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG). Ob man weniger Miete zahlen möchte, den Strafzettel für ungerechtfertigt hält oder eine Erstattung für einen annullierten Flug wünscht: Wer Forderungen für Dritte einzieht, benötigt eine Inkassoerlaubnis. Die Gegner argumentieren, Teile des Geschäftsmodells würden unerlaubter Rechtsdienstleistung unterfallen. Es wird eifrig argumentiert und die eine Krähe versucht, der anderen ein Auge auszuhacken, statt zu realisieren, dass es so viele Möglichkeiten neuer Kooperationsformen gibt.
Ziel dieses Zweigs von Legal Tech soll doch sein, Bürgern die Durchsetzung bestimmter Ansprüche zu erleichtern. Und: Wer beauftragt schon gleich einen Anwalt, um seine Fluggastrechte durchzusetzen? Klar, das gefällt vielen Anwälten nicht, doch ist es völlig lebensfremd, zu erwarten, dass für derartige Fälle (z.B. Strafzettel, Miethöhe, Fluggastrechte) direkt ein Anwalt zu mandatieren sei. Das liegt eben u.a. auch daran, dass hierzulande die Gebühren noch vielfach intransparent kommuniziert werden (vom Streitwert in diesen Fällen mal abgesehen). Die Legal Tech-Startups werben eben auch damit, dass ihre Dienstleistung nur etwas kostet, wenn sie erfolgreich sind. Da braucht man nicht lange nachzudenken! Win-win! Viel zu lang haben sich z.B. Fluggesellschaften darauf ausgeruht, dass ihre Kunden die Fluggastrechte nicht geltend machen, weil ihnen in der Korrespondenz mit “den Großen” schlicht der Atem ausging. (Und dass man auch als Nicht-Jurist relativ einfach am heimischen PC das gerichtliche Mahnverfahren initiieren kann, was dann auch recht schnell Wirkung zeigt, wissen eben die wenigsten.) Dies zeigt, dass das RDG Reformbedarf hat, da es derartige Geschäftsmodelle teilweise ausklammert oder zumindest in eine Grauzone verweist, was für alle Beteiligten unbefriedigend ist. Und hier zeigt sich wieder der Vorteil von Legal Tech: Dem Bürger werden seine Rechte bei kleineren Beträgen nicht abgeschnitten, sondern dadurch, dass es viele ähnlich gelagerte Fälle gibt, können alle zusammen – mit Hilfe entsprechender Software – zielgerichtet ausgewertet, ökonomisch sinnvoll bearbeitet und vielfach erfolgreich abgeschlossen werden.
Viele Anwälte sollten ohnehin von ihrem hohen Ross herunterklettern und realisieren, dass die Mandanten heutzutage an eine beauftragte Kanzlei die gleichen Erwartungen haben wie etwa an Amazon oder andere Dienstleister: Die schlichte Erledigung des Auftrags reicht längst nicht mehr. Um sich von Mitbewerbern abzuheben, erwarten Kunden (Mandanten), dass mit ihnen auf Augenhöhe kommuniziert wird (unkompliziert und zeitnah) und dass der Service stimmt (z.B. super freundliche, aufmerksame und mitdenkende Sekretariatskraft) oder bestenfalls sogar über das, was die Mitbewerber bieten, deutlich hinausgeht (z.B. Hausbesuche, transparente Gebührenmodelle, Besprechung via Skype o.ä. hervorragende Kommunikation, ohne dass der Mandant allem hinterhertelefonieren muss etc.). Viele Startups im Bereich Legal Tech zeigen sich da beweglicher.
Spannend wird noch, wie schnell und in welchem Umfang Legal Tech dann auch – hoffentlich – irgendwann bei Gerichten und Behörden Einzug hält. Wer z.B. heutzutage ein “Führungszeugnis zur Vorlage bei einer Behörde” benötigt, muss sich mit langen Wartezeiten beim Amt rumärgern, dort dann persönlich hingehen, sich ausweisen, es beantragen und dann wird dies ans Bundeszentralamt nach Bonn übermittelt, das wiederum das Führungszeugnis dann per Postkutsche (Spaß!) an die jeweilige Behörde sendet. Viele Mühen und Umwege, die Zeit kosten und womöglich auch die Gefahr bergen, dass das eine oder andere Zeugnis verloren geht. Da ist noch Luft nach oben.
Sie sehen, es gibt noch viel zu tun, doch es bleibt spannend!