Perfektion und Panikmache
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Ein Kollege schickte mir vor kurzem einen dieser “Wie man ein erfolgreicher Anwalt wird”-Artikel. Die ersten Abschnitte enthielten die üblichen Weisheiten bzgl. Mandantenzufriedenheit u.Ä. (Sie kennen das!), doch je weiter man las, desto mehr gewann man den Eindruck, dass der Verfasser den Leser ängstigen wollte. Das ist nichts Neues.
Man liest immer mal wieder Artikel, in denen der Autor meint, den Leser mit der “harten Realität” des Anwaltsdaseins konfrontieren zu müssen.
Muss man perfekt sein?
Ein Beispiel ist die Behauptung, dass Perfektion absoluter Standard und jeder Fehler, egal wie trivial, nicht tolerabel sei. Dies bedeutet keine Grammatikfehler machen, alle Fristen einhalten und jegliche Anrufe oder Sprachnachrichten quasi sofort beantworten. Dieser Anspruch an Perfektion ist die Hauptursache für den Stress, unter dem Anwälte leiden, insbesondere, wenn sie zudem noch unter Zeitdruck stehen oder frisch zugelassen und somit noch latent unsicher sind.
Die Verfasser solcher Artikel drücken sich manchmal vielleicht einfach bloß unglücklich aus. Was sie eigentlich sagen wollen, ist, dass Anwälte Perfektion anstreben und versuchen sollten, keine Flüchtigkeitsfehler zu machen oder eben nicht solche, welche die Basics betreffen. Insbesondere Rechtschreibfehler etc. sollten nicht als irrelevant weggewischt werden, weil das suggeriert, dass der Anwalt sich nicht um die Beurteilung durch den Mandanten schert. Darüber hinaus können kleine Fehler größere Fehler nach sich ziehen. Manch ein Anwalt mag durchaus etwas nachlässig werden, wenn er meint, dass der Fall ohnehin verloren ist. Doch auch in derartigen Fällen muss er weiterhin messerscharf argumentieren, denn es ist nach wie vor ein großer Unterschied, ob jemand 20.000 oder 40.000 EUR zahlen oder ob er 2 oder 4 Jahre ins Gefängnis muss.
Und manchmal kann es doch noch zur unerwarteten Wende kommen. Wer scharf am Ball bleibt, wach und brillant argumentiert, kann womöglich so manche Entscheidung noch deutlich beeinflussen. Es ist ja selten nur eine Entscheidung zwischen schwarz oder weiß. In der Regel machen die Grauschattierungen die Musik.
Muss man allzeit bereit sein?
Ein weiteres Anspruchsdenken aus so manchem Artikel ist, dass man quasi jede Minute des Tages dem Mandanten widmen soll. Dem Mandat sollen Familie, Freunde und Hobbies (und damit die Gesundheit?) untergeordnet, quasi geopfert werden. Das Basketball-Spiel des Sprösslings? Die Geburtstagsfeier der Tochter? Leider keine Zeit. Man muss ins Büro. Nachtschicht. Ein 500seitiges Dokument muss diese Woche noch durchgearbeitet werden.
Klar, solche Momente wird es geben, und dann muss man seiner Pflicht nachkommen. So ist nun mal der Job und man wird (und muss) Zeit finden, das auch wieder auszugleichen. Meist jedoch sollte man seinen Kalender so im Griff haben, dass derart massive Störungen des Privatlebens nicht sein müssen. Wer es nicht schafft, Privat- und Berufsleben dauerhaft miteinander in einen harmonischen Einklang zu bringen, macht etwas falsch. Klar, am Anfang, als Junganwalt, da muss man noch richtig ranklotzen. Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Insbesondere jene, die sich selbständig machen oder für ein sechsstelliges Einstiegsgehalt in einer Großkanzlei anheuern, müssen erst einmal die Ärmel hochkrempeln. Ein Dauerzustand sollte das Ackern aber nicht sein.
Jene Großkanzlei-Helden, die sich ständig bereiterklären, Abendstunden und halbe Nächte für die Firma zu opfern und dabei bereitwillig das Abendessen mit Frau und Kindern versäumen, sind vielleicht übermotiviert oder haben einen hochexklusiven Lebensstil, der eine 70-und mehr-Stundenwoche nötig macht. Möglich ist aber auch, dass sie gar nicht unbedingt nach Hause wollen…. Aber das ist ein anderes Thema.
Selbstverständlich erwartet jede Kanzlei eine Art Perfektion und Loyalität von ihren Anwälten, wenn man bedenkt, wie viel oftmals bei den Mandaten auf dem Spiel steht und wie viel die Mandanten zahlen müssen. Letztlich sollte dieser Anspruch aber so kommuniziert werden, dass er jeden dazu motiviert, sein Bestes zu geben. Nicht aber in einer Manier, die Angst erzeugt und demoralisiert.
Juristenkarriere als Einbahnstraße?
Schließlich liest man in manchen Artikeln auch von der Karriere als Einbahnstraße: Von kleinem Laden zu großem sei völlig ok, doch es könne der Anwaltskarriere zuweilen abträglich sein, wenn man in einer Großkanzlei gearbeitet hat und danach in ein kleineres Büro wechseln möchte, denn anfangs habe manch Junganwalt in einer Großkanzlei kaum Mandantenkontakt und nehme keine Gerichtstermine wahr. Manche seien nur damit beschäftigt, Dokumente durchzuarbeiten und zu entscheiden, welche davon relevant sind. Es sei eine einfache Arbeit, die in keinster Weise darin schult, wie es ist, ein Anwalt zu sein.
Wenn sie dann aus diesem Grunde irgendwann die Großkanzlei verlassen, gingen sie davon aus, einen Job finden , der es ihnen erlauben würde, auch vor Gericht aufzutreten und ihre Kanzlei in einer bunten, facettenreichen Vielfalt von Fällen zu vertreten. Es sei jedoch für einige dann doch nicht ganz so einfach wie gedacht, eine kleinere Kanzlei zu finden, die sie anstellen will und die Möglichkeit einräumt, gerichtlich aufzutreten. Viele kleinere Kanzleien schätzten es nicht besonders, dass die Junganwälte in Großkanzleien selten vor Gericht auftreten und somit kaum Erfahrung mitbringen.
Nun, dieses Szenario mag auf Einzelfälle zutreffen, ist aber im Wesentlichen mittlerweile reichlich klischeebehaftet. Einziger Punkt, warum kleinere Kanzleien scheuen könnten, Ex-Großkanzlei-Mitarbeiter anzuheuern, ist vielleicht das Gehalt, das in der Großkanzlei verdient wurde, und die damit verbundene Gehaltsvorstellung des Bewerbers. Kleinere Büros zahlen ihren angestellten Anwälten meist nur die Hälfte dessen, was diese in Großbuden verdienen, oder sogar noch weniger. Sie mögen befürchten, dass die anwaltliche Motivation unter dem geringeren Gehalt schwindet.
Dass sie mit dem neuen Job einen scharfen Einschnitt in ihre Finanzen erhalten, nehmen wechselfreudige Junganwälte jedoch bewusst in Kauf. Schließlich ist manch einer als “Anwalt der Straße” viel zufriedener als zu seiner Zeit in der Großkanzlei. In Großkanzleien geht es oft weniger persönlich zu als in kleineren. Man ist eher Rädchen einer gut geölten Maschine und es geht noch streng hierarchisch zu. Das muss man abkönnen und mögen. Auch ist die Work-Life-Balance nicht unbedingt besonders ausgeprägt. Anwälte, für die die Arbeit nicht das Leben ist (ja, die soll es geben) und die gern auch Zeit für Hobbies, Freunde und Familie haben möchten, sind vermutlich in einer kleineren Kanzlei besser aufgehoben. Geld ist nicht alles.
Sie sehen, es werden gern viele Ratschläge erteilt und manchmal auch Horrorszenarien skizziert, doch letztlich liegt es hauptsächlich an Ihnen, wie Ihre Karriere verläuft, wo Sie Ihre Prioritäten setzen und wie sehr Sie sich unter Druck setzen lassen. Jobs kann man immer wechseln. Sie haben die Wahl.